Bei der Planung und Entwicklung digitaler Produkte ist Vorsicht geboten, wenn es darum geht welchem Feature welcher Wert zugeteilt wird. Vielen Beteiligten ist zwar intuitiv bewusst, dass sich der Wert einiger Features von dem Wert anderer Features unterscheidet, sie können diese Unterschiede aber nur oft konkretisieren und artikulieren. Denn damit solch ein Sachverhalt artikuliert werden kann, wird zunächst ein Wissen über die verschiedenen Arten von Anforderungen benötigt. Genau hier greift das Kano-Modell.
Das Kano-Modell wurde erstmals vom ehemaligen Professor der Tokyo University of Science, Noriaki Kano entworfen. Es beschreibt die fünf Merkmale von Anforderungen eines Produkts und deren Auswirkungen auf die Zufriedenheit des Kunden, bei Erfüllung oder Nichterfüllung.
Die fünf Merkmale sind:
- Basismerkmale
- Leistungsmerkmale
- Begeisterungsmerkmale
- Rückweisungsmerkmale
- Unerhebliche Merkmale
Das Kano-Modell stemmt sich also gegen den oft weit verbreiteten Glauben, dass Verbesserungen von Features des digitalen Produkts auch unmittelbar in eine gesteigerte Kundenzufriedenheit münden. Es Zeigt auf, dass manche Eigenschaften und Features einer Software überproportional mehr Einfluss auf die Begeisterung des Kunden haben als andere.
Aber neben der Einordnung der Anforderungen gibt das Kano-Modell auch einen Einblick wie sich diese verschiedenen Merkmale auf die Kundenzufriedenheit auswirken und wie sich diese über die Zeit verändern. So verschieben sich nach und nach die Begeisterungsmerkmale in Richtung Leistungsmerkmale und diese verschieben sich in Richtung Basismerkmale.
Die Produktmerkmale im Kano-Modell im Detail – Basismerkmale
Basismerkmale sind jene Anforderungen, die ein Kunde an ein digitales Produkt voraussetzt und für gegeben betrachtet. Eine Existenz dieser Funktionen führen in der Wahrnehmung des Kunden zu keiner emotionalen Reaktion. Zum Beispiel freut sich der Kunde nicht übermäßig, wenn mit einem Smartphone telefoniert werden kann. Ein Fehlen dieser Basisanforderungen oder Basismerkmalen führt beim Kunden allerdings zu großer Unzufriedenheit. Basismerkmale können somit auch niemals übermäßig übertroffen werden. Die Qualität bei einem Telefonat führt, auch wenn sie um 10% besser ist als bei anderen Smartphones, zu keiner Begeisterung des Kunden.
Die Produktmerkmale im Kano-Modell im Detail – Leistungsmerkmale
Leistungsmerkmal werden vom Kunden betrachtet und verglichen. Bei einem Smartphone wird beispielsweise die Größe des Displays und dessen Auflösung, die Auflösung der Kamera, die Akkulaufzeit, die Rechenkapazität oder die Speichergröße zwischen verschiedenen Herstellern und Modellen verglichen. Sind gewisse Leistungsmerkmal über der Kundenerwartung erfüllt, so können diese wahre Begeisterung beim Kunden auslösen. Fehlen wichtige Merkmale und fällt der Kunde eventuell erst nach dem Kauf auf dieses Fehlen auf, so kann das zu großer Unmut und Ärgernis beim Kunden führen – der Kunde ist sehr unzufrieden.
Leistungsmerkmale führen dazu, dass die Kundenzufriedenheit auch nur maximal „linear“ steigt. Die Akkulaufzeit eines Smartphones kann den Kunden zwar begeistern, aber ein richtiger Begeisterungsfaktor ist es nicht, Leistungsmerkmale sind eben nicht „cool“. Ganz im Gegensatz zu Begeisterungsmerkmalen.
Die Produktmerkmale im Kano-Modell im Detail – Begeisterungsmerkmale
Begeisterungsmerkmale sind meist jene Produkteigenschaften eines digitalen Produkts die nicht vom Kunden erwartet wurden und etwas ganz Neues sind. Diese „coolen“ Features sind oft das Zünglein an der Waage, die dazu führen, dass sich ein bestimmten Modells gegen ein anderes Modell eines anderen Anbieters durchsetzen. Bei Smartphones war das aller erste iPhone so ein „cooles neues“ Ding. Es führte zu Begeisterung, durch die neuartige Art der Bedienung am Touchscreen. Bei Autos könnte man Tesla als Beispiel heranziehen. Hier waren so Begeisterungsmerkmale wie der „Autopilot“, das Multimedia-System oder die schiere Beschleunigung des Fahrzeugs im „Insame-Mode“ des ersten Modells ein wahrer Begeisterungsfaktor.
Die Produktmerkmale im Kano-Modell im Detail – Rückweisungsmerkmale
Rückweisungsmerkmale sind jene Produkteigenschaften die, wenn sie vorhanden sind den Kunden abschrecken und dieser von einem Kauf absieht. Beispielsweise kann es für einen Käufer relevant sein, wie ein Smartphone gefertigt wird und ob dabei auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte geachtet wurde. In diesem Fall wird der Kunde wohl eher zum Fairphone greifen
Die Produktmerkmale im Kano-Modell im Detail – Unerhebliche Merkmal
Bei unerheblichen Merkmalen werden diese zwar wahrgenommen aber weder als positiv noch als negativ bewertet, weil diese für den Kunden unerheblich für eine Kaufentscheidung sind. Zum Beispiel kann es für einen Käufer unerheblich sein, ob ein Smartphone einen Fingerscanner zum entsperren des Geräts hat, weil er sowieso nur mit einer Zahlenkombination arbeiten will.
Wichtig bei diesen Merkmalen ist auch, dass Kunden Begeisterungsmerkmale oft nicht kennen können und Basisanforderungen oft für selbstverständlich halten und gar nicht auf diese eingehen. |
Welche Kenntnisse und Lehren können nun aus dem Kano-Modell gezogen werden?
- Die verschiedene Merkmale, die ein Produkt aufweisen kann, werden vom Kunden unterschiedlich wahrgenommen.
- Ein Vorhandensein oder ein Fehlen gewisser Eigenschaften führt zu verschieden starken Reaktionen des Kunden im Punkto Kundenzufriedenheit.
- Es gibt unbekannte und unbewusste Anforderungen an ein Produkt.
- Durch intensive Zusammenarbeit mit Kunden und durch die Anwendung von Kreativitätstechniken und Methoden wie Design-Thinking können digitale Produkte entworfen werden die einen Coolnessfaktor haben und den Kunden begeistern.
- Die Anforderungen an ein digitales Produkt verändern sich mit der Zeit Kunden gewöhnen sich an Begeisterungsmerkmale und diese werden zu Leistungsmerkmalen. Sie gewöhnen sich an Leitungsmerkmalen und diese werden zu Basismerkmalen.
- Für verschiedene Kunden und Kundengruppen sind Produkteigenschaften in anderen Produktmerkmalsgruppen des Kano-Modells einzuordnen
- Arbeiten am Kano-Modell führen zu mehr Verständnis über den Kunden, aber nur dann, wenn intensiv mit dem Kunden gearbeitet wird und dieser eng in die Entwicklung des digitalen Produkts mit eingebunden ist.
- Die Art und Reihenfolge wie Produkteigenschaften umgesetzt werden kann entscheidend für den Projekt und Produkterfolg sein. Auch die zeitliche Abfolge und der Aufwand, welcher in gewisse Features gesteckt wird, ist maßgeblich für den Erfolg des Produkts verantwortlich.
- Auch die Umwelt beeinflusst massiv die Einordnung der Features eines Produkts in die verschiedenen Kategorien. Wenn eine Person für ein Wochenende in der Wildnis ist und keine Möglichkeit hat seinen Smartphone-Akku aufzuladen ist die Akkukapazität auf einmal entscheidender als die Größe des Displays.
Produktentwicklung mit Kunden und mit dem Kano-Modell
Um ein solides und gut zu vermarktendes digitales Produkt zu erstellen ist es also essentiell die verschiedenen Features und Produkteigenschaften in die verschiedenen Kategorien einordnen zu können. Erst dann kann eine Strategie entwickelt werden wann welches Feature umgesetzt werden kann. Dazu ist es notwendig intensiv mit Kunden zusammenzuarbeiten und den Kunden gewisse Fragen zu stellen.
Dazu können funktionale, also positiv formulierte Fragen, oder dysfunktionale, also negativ formulierte Fragen gestellt werden.
Beispiel:
Funktionale Fragen:
Was würden sie, lieber Kunde, sagen, wenn das digitale Produkt über das Feature ABC verfügt?
– Kunde Antwortet Antwort A
Dysfunktionale Fragen:
Was würden sie, lieber Kunde, jetzt aber sagen, wenn das Produkt über das Feature ABC nicht verfügt?
– Kunde Antwortet Antwort B
Die Antworten auf diese funktionale und dysfunktionale Frage zum selben Feature werden dann verglichen und aufgrund dieser Antworten eine Einordnung in die Merkmalsgruppe vorgenommen.
Beispiele:
Eine Kombination aus funktionaler Anforderung – ABC vorhanden: „Das würde mich sehr stören“ – und aus dysfunktionaler Anforderung – ABC fehlt: „Das setze ich voraus“ – ist ein Hinweis auf ein Rückweisungsmerkmal.
Eine Kombination aus funktionaler Anforderung – ABC vorhanden: „Das ist mir egal“ – und aus dysfunktionaler Anforderung – ABC fehlt: „Das ist mir egal“ – ist ein Hinweis auf ein unerhebliches Merkmal
Eine Kombination aus funktionaler Anforderung – ABC vorhanden: „Das setze ich voraus“ – und aus dysfunktionaler Anforderung – ABC fehlt: „Das würde mich sehr stören“ – ist ein Hinweis auf ein Basismerkmal.
Eine Kombination aus funktionaler Anforderung – ABC vorhanden: „Das würde mich sehr freuen“ – und aus dysfunktionaler Anforderung – ABC fehlt: „Das würde mich sehr stören“ – ist ein Hinweis auf ein Leistungsmerkmal.
Eine Kombination aus funktionaler Anforderung – ABC vorhanden: „Das würde mich sehr freuen“ – und aus dysfunktionaler Anforderung – ABC fehlt: „Das könnte ich akzeptieren“ – ist ein Hinweis auf ein Begeisterungsmerkmal.
Wettbewerbsanalyse mit dem Kano-Modell
Durch die Einordnung der digitalen Produkte der Konkurrenz in das Kano-Modell und die Produkteigenschaften in Begeisterungsfaktoren, Leistungsfaktoren und Basisfaktoren kann die Konkurrenz am Markt gut beobachtet werden. Durch das Wissen, dass sich die Begeisterungsmerkmale langsam Richtung Leistungsmerkmale und die Leistungsmerkmale langsam Richtung Basismerkmale verschieben kann auch bereits abgeschätzt werden, welche Faktoren des digitalen Produkts zukünftig vorausgesetzt werden von Kunden oder welche in Zukunft zu einer Kaufentscheidung beitragen.
Go-To-Market und digitale Transformation
Durch die Analyse des Marktes und durch Gespräche mit Kunden können Unternehmen mit Hilfe des Kano-Modells besser abschätzten welche digitalen Produkte es Wert sind intensiv umgesetzt zu werden. Wir leben in einer Welt mit beschränkten Ressourcen deswegen müssen immer wieder Entscheidungen getroffen werden welche Pläne verfolgt werden und welche fallen gelassen werden. Das Kano-Modell hilft bei dieser Entscheidung und somit bei einen alsbald möglichen Markteintritt neuer digitaler Produkte.
Fazit
Das Kano-Modell ist ein vielseitig einsetzbares und mächtiges Tool zur Entwicklung von digitalen Produkten. Es kann in verschiedenen Phasen der digitalen Transformation hilfreich sein. Der Aufwand ist im Vergleich zum Mehrwert, den es liefert gering.
Quellen: Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit: Reliabilität und Validität einer Methode zur Klassifizierung von Produkteigenschaften 29. März 2000 von Elmar Sauerwein
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Zum Autor:
David Theil aus Linz Oberösterreich ist Digitalisierungs-Coach, Software-Entwickler und als Head of Software-Development für über 30 Softwareentwickler verantwortlich. Beruflich beschäftigt er sich bereits jahrelang mit der Digitalisierung und hat bereits bei vielen Digitalisierungs-Projekten in der Wirtschaft federführend mitgewirkt. Er bewegt sich in Themen wie Digitalisierung, IoT, oder Industrie 4.0 sowohl beratend als auch praktisch mit echten Lösungen.
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